1.1 Mathematische Logik

 

1.1.1 Aussagen und Aussageformen

 

Mathematik ist das Aufstellen und Analysieren von Aussagen, wie zum Beispiel:

  • Die Zahl \( 3 \) ist eine Primzahl.
  • Die Zahl \( 4 \) ist eine Primzahl.
  • Es gibt unendlich viele Primzahlzwillinge.

Die erste Aussage ist richtig, die zweite falsch. Über den Wahrheitsgehalt der dritten Aussage köonnen wir nicht abschließend entscheiden, sind aber überzeugt, dass sie entweder wahr oder falsch ist.

Definition: Eine Aussage ist ein umgangssprachlicher Satz, der entweder wahr oder falsch ist.

Diese Definition beinhaltet die Zweiwertigkeit der Aussagenlogik. Außer wahr und falsch gibt keine weitere, dritte Möglichkeit.

Es gibt auch sprachliche Formulierungen, die keine Aussagen sind, da wir ihnen auf sinnvolle Weise keinen Wahrheitswert zuordnen können, wie Glückwünsche, Fragen oder Aufforderungen der folgenden Art:

  • Herzlichen Glückwunsch!
  • Wollen wir wetten?
  • Komm jetzt endlich!

Mathematische Ausdrücke, wie

  • \( x+7=28 \)
  • \( {\mathcal R}(0,3,1) \)

bezeichnen wir als Aussageformen. Sie werden zu Aussagen, nachdem wir einmal den „Platzhalter“ \( x \) durch eine Zahl substituieren und so \( x+7=28 \) zu einer wahren oder einer falschen Aussage machen, oder \( {\mathcal R}(x,y,z) \) beispielsweise als die Relation \( x\lt y\lt z \) interpretieren, was die Aussage \( {\mathcal R}(x,y,z) \) in unserem Beispiel falsch macht.

 


 

1.1.2 Logische Paradoxien

 

Ein umgangssprachlicher Satz kann grammatikalisch korrekt sein, inhaltlich aber eine logische Paradoxie darstellen. So kennt jeder das Beispiel

  • Dieser Satz ist falsch.

Ist nämlich dieser Satz wahr, so ist er nach seiner eigenen Behauptung falsch. Ist er aber falsch, so muss er mit derselben Begründung doch wahr sein.

Was stimmt nun?

Offenbar werden verschiedene Sprachebenen vermischt: Der mit zwei verschiedenen Bedeutungen belegte Ausdruck dieser Satz

  • bezieht sich einmal auf den umgangssprachlichen Satz Dieser Satz ist falsch,
  • dann aber auch auf das Subjekt des Satzes Dieser Satz ist falsch.

Paradoxien dieser Art müssen natürlich vermieden werden. Wir wollen folgende Formulierung der Aussagenlogik kennenlernen: Einmal die

  • axiomatische Formulierung

d.h. rein formal, aufbauend auf endlich vielen Axiomen und Schlussregeln und ohne jede inhaltliche Interpretation werden die Aussagen formuliert und in neue Aussagen überführt. Erst im zweiten Schritt wird dieser syntaktischen Form der Logik eine

  • semantische Formulierung

gegenübergestellt. Hierunter versteht man beispielsweise eine Zuordnung von Aussagen und Aussagenverknüpfungen in die aus den beiden natürlichen Zahlen \( 0 \) und \( 1 \) bestehende Menge \( \{0,1\} \) oder in die Menge \( \{f,w\}, \) wobei \( 0 \) bzw. \( f \) für falsch und \( 1 \) bzw. \( w \) für wahr stehen.

Wahr und falsch sind also semantische Begriffe, denen innerhalb der Aussagenlogik die syntaktischen Begriffe beweisbar bzw. nicht beweisbar gegenüberstehen.

Im Folgenden diskutieren wir wichtige Aspekte der Semantik der Aussagenlogik, die für die mathematische Analysis wichtig sind. Daran anschließend geben wir einen ersten Einblick in die axiomatische Methode, da wir auch später mit verschiedenen Axiomensystemen zu arbeiten haben. Bei dieser Gelegenheit und nur aus historischem Interesse stellen wir verschiedene Axiomensysteme der Aussagenlogik dar.

 

 


 

1.1.3 Verknüpfungen von Aussagen

 

Mathematische Aussagen bezeichnen wir mit kleinen Buchstaben a, b, c usw. Wir ordnen ihnen genau einen der beiden Wahrheitswerte zu:

entweder   \( 1 \) (wahr)   oder   \( 0 \) (falsch)

Aussagen setzen wir durch folgende Junktoren miteinander in Beziehung
\[
\neg\,,\quad
\wedge\,,\quad
\vee\,,\quad
\to\,,\quad
\leftrightarrow\,.
\] In dieser Reihenfolge bedeuten sie: nicht, und, oder, folgt (impliziert), äquivalent.

Aussagenverknüpfungen stellen wieder gewöhnliche Aussagen dar. Die Bedeutungen dieser Verknüpfungen definieren wir anhand einer Wahrheitstabelle:

\( a \) \( b \) \( \neg a \) \( \neg b \) \( a\wedge b \) \( a\vee b \) \( a\to b \) \( b\to a \) \( a\leftrightarrow b \)
\( 0 \) \( 0 \) \( 1 \) \( 1 \) \( 0 \) \( 0 \) \( 1 \) \( 1 \) \( 1 \)
\( 0 \) \( 1 \) \( 1 \) \( 0 \) \( 0 \) \( 1 \) \( 1 \) \( 0 \) \( 0 \)
\( 1 \) \( 0 \) \( 0 \) \( 1 \) \( 0 \) \( 1 \) \( 0 \) \( 1 \) \( 0 \)
\( 1 \) \( 1 \) \( 0 \) \( 0 \) \( 1 \) \( 1 \) \( 1 \) \( 1 \) \( 1 \)

 

Beispiel: Es besitzen \( a\to b \) und \( \neg a\vee b \) dieselben Wahrheitstabellen:

\( a \) \( b \) \( a\to b \) \( \neg a \) \( \neg a\vee b \)
\( 0 \) \( 0 \) \( 1 \) \( 1 \) \( 1 \)
\( 0 \) \( 1 \) \( 1 \) \( 1 \) \( 1 \)
\( 1 \) \( 0 \) \( 0 \) \( 0 \) \( 0 \)
\( 1 \) \( 1 \) \( 1 \) \( 0 \) \( 1 \)

Sie heißen daher im aussagenlogischen Sinn äquivalent, i.Z.
\[ (a\to b)\equiv(\neg a\vee b). \] Die runden Klammern geben dabei an, in welcher Reihenfolge die Verknüpfungen auszuführen sind. Wir vereinbaren: Von der höchsten zur niedrigsten Priorität sind der Reihe nach auszuführen \( \neg, \) \( \wedge, \) \( \vee, \) \( \to, \) \( \leftrightarrow. \)

Aussagenverknüpfungen stellen wieder gewöhnliche Aussagen dar.

 


 

1.1.4 Aussagenlogische Beweisprinzipien

 

Definition: Unter einer Tautologie verstehen wir eine Aussage, die unabhängig von der Belegung ihrer Variablen durch die Wahrheitswerte \( 0 \) oder \( 1 \) stets wahr ist.

Beispiele solcher Tautologien, die auch gleichzeitig grundlegende mathematische Beweisprinzipien darstellen, beinhaltet der

Satz: Die folgenden Aussagen sind Tautologien:

\( \circ \)
Satz vom ausgeschlossenen Dritten
\( a\vee\neg a \)
\( \circ \)
Satz vom Widerspruch
\( \neg(a\wedge\neg a) \)
\( \circ \)
Satz von der doppelten Verneinung
\( \neg(\neg a)\to a \)
\( \circ \)
Satz von der Kontraposition
\( (a\to b)\leftrightarrow(\neg b\to\neg a) \)
\( \circ \)
Satz zum modus ponens
\( (a\to b)\wedge a\to b \)
\( \circ \)
Satz zum modus tollens
\( (a\to b)\wedge\neg b\to\neg a \)
\( \circ \)
Satz zum modus barbara (Kettenschluß
\( (a\to b)\wedge(b\to c)\to(a\to c) \)

Hievon möchten wir vier Beweisprinzipien in Worte wiedergeben:

\( \circ \)
Satz vom ausgeschlossenen Dritten
entweder es gilt \( a, \) oder es gilt nicht \( a \)

\( \circ \)
Satz vom Widerspruch
eine Aussage \( a \) und ihre Negation \( \neg a \) können nicht gleichzeitig wahr sein

\( \circ \)
Satz zum modus ponens (direkter Beweis)
gilt \( a, \) und folgt \( b \) aus \( a, \) so gilt auch \( b \)

\( \circ \)
Satz zum modus tollens (indirekter Beweis)
gilt \( \neg b, \) kann aber \( b \) aus \( a \) abgeleitet werden, so ist \( a \) falsch

Im Gegensatz zu Tautologien sind Kontradiktionen Aussagen, die unabhängig von der Belegung ihrer Variablen durch Wahrheitswerte stets falsch sind.

 


 

1.1.5 Quantoren

 

In der Mathematik haben wir es mit Variablen \( x,y,\ldots \) als Elemente von Individuenmengen \( X \) zu tun. Für ihre Beschreibung benötigen wir die beiden folgenden Quantoren.

Definition: Es sei \( p \) eine von einer Variablen \( x \) aus einer Individuenmenge \( X \) abhängige Aussageform. Der Allquantor \( \forall \) und der Existenzquantor \( \exists \) sind dann wie folgt definiert:

\( \circ \)
\( \forall x\in X\,p(x) \)
sprich: für alle Elemente \( x \) aus \( X \) ist die Aussage \( p(x) \) wahr

\( \circ \)
\( \exists x\in X\,p(x) \)
sprich: es existiert ein Element \( x \) aus \( X, \) für welches die Aussage \( p(x) \) wahr ist

 

Im zweiten Punkt bedeutet „es existiert“ die Existenz wenigstens eines Elementes \( x \) aus \( X. \)

Beispiel: Bedeutet \( \mathbb N=\{1,2,3,\ldots\} \) die Menge der natürlichen Zahlen, so gelten
\[ \exists n\in\mathbb N\,:\,n=2,\quad
\forall n\in\mathbb N\,:\,n\ge 1. \] Hierin sind die Doppelpunkte zur besseren Lesbarkeit eingefügt.

Beispiel: Eine reellwertige Funktion \( f\colon\Omega\to\mathbb R \) heißt in einem Punkt \( x_0\in\Omega \) stetig, wenn gilt
\[ \forall\varepsilon\gt 0\,\exists\delta\gt 0\,\forall x\in\Omega\,(|x-x_0|\lt\delta\to|f(x)-f(x_0)|\lt\varepsilon) \] mit einem \( \delta=\delta(\varepsilon,x_0) \) bzw. ausführlicher: Für alle \( \varepsilon\gt 0 \) existiert ein \( \delta=\delta(\varepsilon,x_0)\ge 0, \) so dass gilt
\[ |f(x)-f(x_0)|\lt\varepsilon\quad\mbox{für alle}\ x\in\Omega\ \mbox{mit}\ |x-x_0|\lt\delta. \]

Definition: Der Allquantor \( \forall \) und der Existenzquantor \( \exists \) werden wie folgt negiert
\[ \neg\forall x\,p(x)\equiv\exists x\,\neg p(x),\quad
\neg\exists x\,p(x)\equiv\forall x\,\neg p(x). \] Linksseitig wirkt der Negationsoperator jeweils auf die gesamten Ausdrücke \( \forall x\,p(x) \) bzw. \( \exists x\,p(x). \)

Beispiel: Wir ermitteln
\[ \neg\forall x\,\exists y\,p(y)\equiv\exists x\,\neg\exists y\,p(y)\equiv\exists x\forall y\,\neg p(y). \]

 

 

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